Teilnehmende aus dem Bistum Münster äußern sich zur 4. Synodalversammlung

Vom 8. bis 10. September fand die 4. Synodalversammlung im Rahmen des Synodalen Wegs in Frankfurt statt. Wir haben Teilnehmende aus dem Bistum Münster nach ihren Einschätzungen gefragt.

Foto: Maximilian von Lachner

Die Antworten auf die drei Fragen, die wir gestellt haben, dokumentieren wir im Wortlaut. Geäußert haben sich die folgenden Synodalen: 

  • Dr. Felix Genn (Bischof von Münster)
  • Prof. Dr. Thomas Söding (Vizepräsident des Synodalen Weges und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken)
  • Sr. Katharina Kluitmann (Lüdinghauser Franziskanerin)
  • Brigitte Lehmann (Vorsitzende des Diözesankomitees der Katholiken im Bistum Münster, Münster)
  • Johanna Müller (Jüngste Synodale, Marienfeld)
  • Dr. Dorothea Sattler (Theologie-Professorin, Co-Vorsitzende des Synodalforums "Frauen in Diensten und Ämtern der Kirche", Münster)
  • Dr. Klaus Winterkamp (Generalvikar des Bistum Münster, Münster)

Welches Fazit ziehen Sie nach der 4. Synodalversammlung in Frankfurt?

Felix Genn: Die Versammlung hat gezeigt, dass wir weiter in der Schule der Synodalität sind: Und die Reifeprüfung haben wir noch nicht bestanden. Zu Synodaliät gehören Konflikte und Auseinandersetzungen und sogar Scheitern dazu. Der erste Tag der Versammlung, an dem die Zustimmung zum Grundlagentext ‚Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik‘ an der notwendigen 2/3 Mehrheit der Bischöfe gescheitert ist, war ein gewisser Paukenschlag. Aber eine Zustimmung von 61 Prozent der Bischöfe ist ja auch nicht Nichts. Die Tage in 
Frankfurt waren für mich persönlich, insbesondere da ich zum erweiterten Synodalpräsidium gehöre, sehr intensiv und anstrengend. Auch in den Pausen haben wir immer wieder getagt.
Thomas Söding: Der Synodale Weg stand am Abgrund. Aber er hat eine Brücke über diesen Abgrund gebaut. Wie war das möglich? Die Bischöfe haben sich bewegt. Die anderen Delegierten haben ihre Hand ausgestreckt. Das ist ein Durchbruch: Katholisch und synodal gehört zusammen. Es passt auch zusammen, nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch.
Brigitte Lehmann: In jeder Krise liegt auch eine Chance. Der durchgefallene Text am Donnerstag und der damit einhergehende Eklat hat meines Erachtens letztlich dazu geführt, dass wir noch ehrlicher miteinander umgegangen sind und uns zugehört haben. Auch mir persönlich gehen manche Dinge nicht weit genug, aber ich sehe bei den allermeisten den ernsten Willen, gemeinsam etwas zu verändern und das ist mit sehr wichtig. Letztlich wurden dann ja noch sehr wichtige Texte verabschiedet und so bin ich zufrieden und zuversichtlich abgereist. Endlich konnten wir auch ohne Coronaregeln tagen, was zu sehr vielen wertvollen informellen Gesprächen geführt hat, die sehr förderlich für ein gutes Miteinander, auch auf Dauer, sind.
Johanna Müller: Es ist gut, dass wir einige Texte beschlossen haben, aber es ist unsäglich, wie die Debatte am Donnerstagabend zum Grundtext ‚Leben in gelingenden Beziehungen – Grundlinien einer erneuerten Sexualethik‘ verlaufen ist und welches Ergebnis dann am Ende stand. Ich bin dankbar für die Annahme der Handlungstexte zu geschlechtlicher Vielfalt und der Neubewertung von Homosexualität zur Weiterbearbeitung, aber umso weniger kann ich es verstehen, warum der Grundtext zu diesem Thema gescheitert ist.
Prof. Dr. Dorothea Sattler: Nach drei Tagen mit jeweils sehr unterschiedlichen Ereignissen, Stimmungen und Ergebnissen blicke ich mit Dankbarkeit und Erleichterung zurück: Als eine der Vorsitzenden des Forums III „Frauen in Diensten und Ämtern in der Kirche“ freue ich mich sehr, dass unser Grundtext die erforderlichen Mehrheiten erhalten hat. Auch viele Bischöfe sehen hinreichende theologische Argumente, das Thema Ordination der Frau in die weltkirchlichen Gespräche einzubringen. Ich erfahre darin eine große Ermutigung. Sehr wichtig war zudem, dass viele 
Handlungstexte Mehrheiten gefunden haben, die sich gegen jede Diskriminierung aufgrund sexueller Orientierungen ausgesprochen haben. Im Blick auf die vielen Themen, die noch anstehen ist von hoher Bedeutung, dass die synodale Bewegung durch einen Beschluss nun auf Dauer gestellt ist und einer anvisierten neuen institutionellen Gestalt nach der letzten, der 5. Synodalversammlung.
Dr. Klaus Winterkamp: Mein Fazit nach der vierten Synodalversammlung fällt gemischt aus. Insgesamt halte ich die Ergebnisse, Beschlüsse und Beratungen für weiterführend. Doch ob sich im Hinblick auf Haltungen, Einstellungen und Verhaltensmuster bei allen Beteiligten tatsächlich etwas geändert hat und möglicherweise Lernfähigkeit entwickelt, ist für mich eine Frage. Synodalität ist und bleibt ein Lernprozess – auf allen Seiten und für alle Beteiligten. Synodalität erfordert nach Papst Franziskus ein unabgeschlossenes Denken. Dem stehen festgefahrene, systemisch funktionalisierte und formalisierte Denkmuster und Verhaltensweisen im Weg. Letzteres ist so mühsam wie durchschaubar und darum 
nur noch langweilig.


Der Synodale Weg befindet sich in der Endphase. Im Vorfeld der 4. Synodalversammlung gab es aus Rom deutliche Kritik am Synodalen Weg. Dem haben sich einige deutsche Bischöfe angeschlossen. Warum braucht es überhaupt Veränderung oder Erneuerung in der Kirche? Und in welche Richtung muss diese Veränderung gehen?

Felix Genn: Es ist notwendig, dass aufgrund des Missbrauch-Skandals in großer Ernsthaftigkeit überlegt wird, was in der Kirche verändert werden muss, damit solche Taten auf jeden Fall minimalisiert, am besten ganz verhindert werden. Dazu gehören auch Transparenz, Partizipation, ein viel stärkerer synodaler Geist, der sich auch in konkreten Strukturen und Formen auswirkt. 
Thomas Söding: Es gibt eine Glaubenskrise, die sich in der Strukturkrise der katholische Kirche zeigt. Der systemische Missbrauch hat es an den Tag gebracht. Es muss mehr miteinander gesprochen und gehandelt werden,. Das setzt gemeinsames Beraten und Entscheiden voraus. Die katholische Kirche kann das. Sie muss es auch machen. Das Bistum Münster eignet sich vorzüglich, um Synodalität verbindlich zu machen. 
Sr. Katharina Kluitmann: Es braucht Veränderung, weil die Fülle der Missbrauchsfälle und der Umgang mit ihnen nach Erneuerung der Kirche nicht nur rufen, sondern schreien. Die Veränderung muss vor allem in Richtung eines andere Umgangs mit Macht gehen. Das schließt vor allem das Priesterbild und die Sexualmoral ein. Ohne eine Veränderung der Rolle von Frauen in der Kirche, haben wir keine Zukunft, die wir verantworten können.
Brigitte Lehmann: Wir müssen uns immer wieder vergewissern, woraus der synodale Weg entstanden ist – nämlich aus der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals. In der MHG-Studie werden die Strukturen mitverantwortlich für die Missbrauchstaten gemacht. Deswegen müssen sich diese verändern, und zwar in den, durch die Foren benannten Bereichen.
Johanna Müller: Es ist offensichtlich, dass wir viele Veränderungen in der Kirche benötigen. Die Missbrauchskrise ist der Anlass des synodalen Wegs. Und diese Krise und die zahlreichen Studien zum Missbrauch zeigen nachweislich, dass wir in der katholischen Kirche ein großes Machtproblem haben. Wir haben toxische Strukturen sowie eine rigide Sexualmoral, die sexuellen Missbrauch begünstigen. Diese Strukturen müssen aufgebrochen werden. Wir brauchen eine Veränderung hin zu Gleichberechtigung aller Menschen, zum Schutz der Menschenwürde. Das ist eine Minimalforderung. Und wir brauchen Transparenz und wir brauchen Rechenschaftslegung.
Prof. Dr. Dorothee Sattler: Die Veränderung der römisch-katholischen Kirche ist derzeit erkennbar: Wir werden weltweit eine ‚Synodale Kirche‘; dies wünscht sich ja auch Papst Franziskus. Was das genau bedeutet, ist noch offen. Ich habe in Frankfurt eine lernende Gemeinschaft erlebt - geistlich miteinander verbunden. Viele haben sich entsprechend geäußert und sagen: Ich bin nachdenklich geworden; ich beginne zu verstehen; ich möchte auf andere Menschen hören. Dies zu erleben, macht mir Mut in einem in jeder Zeit wieder erforderlichen Weg der Reform.
Dr. Klaus Winterkamp: Wir haben nicht einfach eine Glaubwürdigkeitsproblematik als Kirche, wir haben inzwischen eine Legitimationsproblematik: warum soll, muss oder braucht es – eine in Deutschland zudem durch die Kirchensteuer maßgeblich finanzierte – Kirche in einer Gesellschaft, die immer säkularisierter, pluralistischer und weltanschaulich neutraler wird? Veränderung muss also in Richtung Glaubwürdigkeit, Nachvollziehbarkeit und Transparenz gehen.

 

Was wären für Sie drei zentrale und konkrete Ergebnisse – im Sinne einer Erneuerung der Kirche –, die am Ende des Synodalen Wegs stehen sollten?

Felix Genn: Es wäre für mich schon viel gewonnen, wenn wir am Ende des Synodalen Weges sagen könnten: „Wir haben hier eine großartige Schule des synodalen Miteinanders erlebt, die uns dazu ermutigt, weiter Synodalität zu pflegen und zu üben, einen Stil zu finden, der Bischöfe, Kleriker und 
Laien zusammenführt, durch dieses Miteinander der Botschaft des Evangeliums eine neue Strahl- und Anziehungskraft zu geben. 
Thomas Söding: Erstens: Die Kirche ist immer „heute“. Sie darf nicht lehren, ohne zu lernen. Zweitens: Die Bischöfe dürfen nicht in einer Blase leben. Eine Synode ist die beste Form, frische Luft zum Atmen zu bekommen und den Geist Gottes wehen zu lassen. Drittens: Der Weg geht weiter. Wir brauchen gute Papiere: als Basis. Aber Synode sind nicht Papiertiger. Es braucht den gelebten, den geteilten, den Verantworteten Glauben
Sr. Katharina Kluitmann: Kirche muss endlich dem Evangelium wieder ähnlicher werden und damit diesem Jesus, der Menschen hereinholte statt sie auszuschließen; diesem Jesus, der Barmherzigkeit lebte, indem er wunde Punkte ansprach, aber nicht darin bohrte; diesem Jesus, der Leben über Regeln setzte. Synodalität muss eine gelebte Realität der Kirche werden. Offener Austausch aller in echtem Dialog und dem festen Vertrauen, dass alle den Geist in sich tragen. Ich hoffe auf sichtbare Schritte auf dem Weg der Gleichberechtigung der Frauen auch in der Kirche, weil wir so die verfügbaren Charismen verdoppeln.
Brigitte Lehmann: Drei zentrale Ergebnisse wären für mich: Gewaltenteilung auf allen Ebenen unserer Kirche, Bereitschaft zur gemeinsamen Veränderung von Strukturen und Gesprächsbereitschaft auf Augenhöhe, also Synodalität auf Dauer stellen.
Johanna Müller: Ein zentrales und konkretes Ergebnis am Ende synodalen Weges ist für mich auf jeden Fall, die Synodalität auf Dauer zu stellen. Weiterhin gemeinsam zu beraten und zu entscheiden. Deshalb bin ich sehr dankbar, dass wir einen synodalen Rat, einen synodalen Ausschuss beschlossen haben. Doch ist es wichtig, dass es auch wirklich umgesetzt wird. Das gilt bei allen Beschlüssen. Nur so hat es auch auf Dauer eine Wirkung und nur dann –würde ich sagen - ist der synodale Weg nicht gescheitert.
Prof. Dr. Dorothee Sattler: Zwei meiner drei Wünsche sind schon erfüllt: Eine grundlegende Zustimmung zu einer synodalen Kirche auch in Deutschland und eine hohe Aufmerksamkeit auf die Charismen von Frauen in der römisch-katholischen Kirche. Ich weiß um viele weiteren Wünsche bei 
den Synodalen – auch ich mag mich nicht nur auf einen dritten Wunsch festlegen. Einer liegt mir jedoch besonders am Herzen: mehr explizite Aufmerksamkeit auf die ökumenische Bedeutung unseres Synodalen Wegs.
Dr. Klaus Winterkamp: Wünschenswerte konkrete Ergebnisse wären aus meiner Sicht: Erstens die Etablierung eines Synodalen Rates und damit verbunden eine Reform, teilweise auch Abschaffung der festgefahrenen Strukturen der Deutschen Bischofskonferenz und dem Zentralkomitee der deutschen Katholiken. Auch wäre endlich eine Straf- und Verwaltungsgerichtsbarkeit zu wünschen. Zweitens: Unmissverständliche Anträge seitens des Synodalen Weges an römische und weltkirchliche Instanzen insbesondere hinsichtlich der Sexualmoral und der Ämterfragen. Drittens: Mehr als wünschenswert wäre, wenn alle Beteiligten zumindest einen Anflug von Synodalität gelernt hätten, deren Form, Struktur, Gehalt und Inhalt auch bei denen noch in den Kinderschuhen stecken, die der Meinung sind, sie bereits zu leben.