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    "Wohin du gehst, dahin gehe ich"

    Rut 1, 16–19

Genn: „Demokratie ist eine Lebensauffassung“

Die Bundesrepublik Deutschland wird 75 Jahre alt und mit ihr das Grundgesetz. Münsters Bischof Dr. Felix Genn ist der dienstälteste Bischof in NRW. Er ruft zur Europawahl auf.

„Demokratie ist eine Lebensauffassung“, sagt Münsters Bischof Dr. Felix Genn aus Anlass des 75-jährigen Jubiläums des Grundgesetzes. Foto: Bistum Münster

Am 23. Mai wird die Bundesrepublik Deutschland 75 Jahre alt und mit ihr das Grundgesetz. Es stellt die Weichen für das Zusammenleben und die demokratische Basis in Deutschland. Münsters Bischof Dr. Felix Genn ist der dienstälteste Bischof in Nordrhein-Westfalen. Die Redaktion „Katholische Kirche im Privatfunk NRW“ hat mit ihm über das bevorstehende Jubiläum des Grundgesetzes gesprochen.

Herr Bischof, Sie wurden ein knappes Jahr nach der Verkündigung des Grundgesetzes geboren und haben somit dieses Land praktisch von Anfang an miterlebt. Freuen Sie sich persönlich, dass wir alle jetzt einen gemeinsamen Geburtstag feiern können?

Bischof Genn: Ich freue mich sehr darüber und bin außerordentlich dankbar für dieses stabile Grundgesetz, das ja aus der Zwangsherrschaft des Nationalsozialismus und dem vorherigen Scheitern der Weimarer Demokratie geboren wurde. Ich bin froh, dass wir dieses Grundgesetz haben. Ich spüre allerdings stark, dass das gilt, was ich in meinem ersten Aufsatz als Gymnasiast geschrieben habe: „Demokratie ist nicht nur eine Staatsform, sondern eine Lebensauffassung.“

Der deutschen Verfassung ist die Präambel vorangeführt: „In Verantwortung vor Gott und den Menschen.“ Der folgende erste Artikel hält fest: „Die Würde des Menschen ist unantastbar.“ Wie deuten Sie diese Formulierungen vor dem Hintergrund der damaligen Kriegserfahrungen und was bedeuten diese Aussagen für die heutige Zeit? 

Genn: Ob der erste Satz heute noch so geschrieben würde, vermag ich nicht zu beurteilen. Fest steht, dass ihm ein langes Ringen vorausgehen würde. Aber es ist ein Glück, dass es diesen Satz gibt, denn die Mütter und Väter des Grundgesetzes waren sich bewusst, dass der Terror, den sie erleben mussten, auch damit zusammenhing, dass Gott geleugnet wurde. Und dass dadurch die Würde des Menschen nicht mehr so unantastbar ist, wie wir das im Grundgesetz heute bekennen. Dieser Satz hält offen, dass es mehr gibt, als das Kurzatmige eines einzelnen Menschenlebens und Ideologien und Überzeugungen, wie sie der Nationalsozialismus in seiner Perversion dargestellt hat. Ohne Gott hat der Nationalsozialismus Furchtbares angestellt. 

Den Kirchen und allen Religionsgemeinschaften wurden Rechte eingeräumt, die von vielen heute als besondere Privilegien betrachtet werden. Zu Recht? Und was ist davon heute noch zu halten?

Genn: Ich verstehe diese Einwände sehr, denn wir leben in einer Zeit, in der etwa die Hälfte der Menschen in unserem Land nicht mehr christlich ist. Dass diese Rechte teilweise in Frage gestellt werden, halte ich deshalb für normal. Ich möchte aber auch zu bedenken geben, dass wir in Deutschland gemeinsam mit Menschen anderen Glaubens leben. Ich denke zum Beispiel an unsere jüdischen und muslimischen Schwestern und Brüder. Es muss daher darüber gesprochen werden, ob Religionsgemeinschaften nicht weiterhin zu schützen sind und wir statt von Privilegien lieber von Freiräumen sprechen, die eine Pluralität ermöglichen. 

In wenigen Tagen findet die Europawahl statt. Was steht auf dem Spiel?

Genn: Diese Frage greift in meine Lebensgeschichte hinein. Ich selbst habe den Zweiten Weltkrieg zwar nicht unmittelbar miterlebt, kenne aber eine Generation, die sowohl den Ersten als auch den Zweiten Weltkrieg erlebt hat. Die Grundidee des früheren französischen Außenministers Robert Schuman im Jahr 1950, die Produktion der Rohstoffe im europäischen Rahmen zusammenzulegen, um eine Einigung Europas zunächst wirtschaftlich zu erzielen, die dann politisch weiterentwickelt werden konnte, war wunderbar. Heute ist dieses Europa gefährdet. Das erfüllt mich mit Sorge, weil wir gerade in der momentanen Zeit ein starkes Europa mit gemeinsamen Werten brauchen, das nicht durch rechts- oder linksextremistische Positionen oder einen sich ausbreitenden Nationalismus erzielt werden kann. 

Deshalb werbe ich für die Europawahl und setze mich für ein Europa ein, das aus meiner Sicht die Zukunftsperspektive unseres Kontinents ist.